Im Streit um die politische Verantwortung im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) der Regierung Nordrhein-Westfalens widersprochen. Aus seiner Sicht hätten genügend Anhaltspunkte vorgelegen, um den Tunesier in Abschiebehaft zu nehmen, sagte de Maizière dem "Spiegel" vom Samstag. CSU-Innenexperte Stephan Mayer forderte eine Kürzung der Bundesmittel für Länder, die Abschiebungen verweigerten.
Im Oktober 2016 habe Tunesien einem Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts mitgeteilt, dass Amri Staatsbürger des Landes sei, sagte de Maizière. "Spätestens da hätte auf Basis des geltenden Rechts ein Antrag auf Abschiebehaft gute Erfolgsaussichten gehabt." Ein solcher Antrag wäre Aufgabe des "für den Vollzug des Ausländerrechts zuständigen Landes" gewesen, fügte der CDU-Politiker hinzu. Im Fall Amri war dies Nordrhein-Westfalen.
Mit seinem Vorwurf widerspricht de Maizière dem nordrhein-westfälischen Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD). Jäger hatte gesagt, die Behörden seien beim Umgang mit dem abgelehnten Asylbewerber Amri "an die Grenze des Rechtsstaats" gegangen.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), sagte der "Passauer Neuen Presse" vom Samstag, es gebe Bundesländer, die aus politischen Gründen nach Mitteln und Wegen suchten, sich dem "klaren Bundesauftrag" zu Abschiebungen zu entziehen. "Diese Länder handeln nicht nur rechtswidrig und unsolidarisch gegenüber den gesetzestreuen Ländern." Sie nähmen auch Kosten für Menschen in Kauf, "die unser Land eigentlich verlassen müssten". Dies dürfe bei der Berechnung der Flüchtlingshilfen des Bundes für die Länder nicht unberücksichtigt bleiben.
Als Konsequenz aus dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt forderte de Maizière zudem verbindliche Regeln zur Überwachung sogenannter Gefährder. "Es kann nicht sein, dass das eine Bundesland einen bestimmten Gefährder rund um die Uhr observiert und ein anderes bei derselben oder einer vergleichbar gefährlichen Person nur das Telefon überwacht", sagte der Bundesinnenminister dem "Spiegel". Es dürfe "keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben".
Der Tunesier Amri war von Behörden in Nordrhein-Westfalen bereits im Februar 2016 als islamistischer Gefährder eingestuft worden. Vor dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche konnte er allerdings untertauchen. Bei dem Anschlag mit einem Lastwagen waren am 19. Dezember zwölf Menschen getötet und dutzende weitere verletzt worden. Amri, der den Lkw den Ermittlern zufolge steuerte, wurde nach mehrtägiger Flucht in einem Vorort von Mailand von der Polizei erschossen.